Der Tastaturenhersteller integriert ein Amazon-Lager in eigene Prozesse und automatisiert den Datenaustausch mit EDI. Ein Experteninterview.
Wer Produkte über Amazon vertreiben will, muss jederzeit lieferfähig sein. „Wie schaffen wir das?“ Vor dieser Frage stand der Peripheriegeräte-Hersteller Cherry. Er entschied sich, einen externen Logistikdienstleister (3PL) zwischenzuschalten, der die Lagerhaltung und Auslieferung an Amazon in Hochgeschwindigkeit übernimmt. Dieser soll im SAP Cloud-ERP-System SAP Business ByDesign als internes Lager geführt werden. Gemeinsam mit Experten von All for One gelang es Cherry in nur drei Monaten, den Dienstleister per EDI anzubinden und die Prozesse komplett zu automatisieren. Über die Besonderheiten des Projekts sprach Mittelstand Heute mit Klaus Hoffmann, Logistik-Experte beim SAP-Partner All for One.
Mittelstand Heute: Was war der Anlass für Cherry, seine Logistikprozesse anzupassen?
Klaus Hoffmann: Cherry verkauft seine Produkte über verschiedene Kanäle und betreibt dafür bereits mehrere Lager. Jetzt soll auch Amazon als neuer Vertriebsweg hinzukommen. Für die Logistik bedeutet das: Wenn ein Kunde auf der Online-Plattform eine Tastatur bestellt, liefert Cherry das Produkt an ein Amazon-Lager, das es dann an den Empfänger verschickt. Durch diesen Deal erhöht der Peripheriegeräte-Hersteller seine Marktpräsenz und vergrößert seine Reichweite.
Mittelstand Heute: Welche Erwartungen hat Amazon?
Klaus Hoffmann: Cherry muss harte Vorgaben erfüllen, denn Amazon akzeptiert nur Partner, die jederzeit sofort lieferfähig sind. Das Unternehmen muss also große Mengen an Waren vorhalten und braucht sowohl hohe Lager- als auch Transportkapazitäten. Dies parallel zu den bestehenden Lagern abzuwickeln war nicht praktikabel. Cherry beschloss daher, einen Logistik-Dienstleister zwischenzuschalten, der über entsprechende Kapazitäten und eine eigene Spedition verfügt.
Mittelstand Heute: Welche Rolle spielt das SAP Cloud-ERP in diesem Prozess?
Klaus Hoffmann: Um eine schnelle, reibungslose Lieferung zu sichern, sind End-to-End automatisierte Prozesse Pflicht. Dafür muss das Cloud-ERP-System SAP Business ByDesign von Cherry, Amazon und dem Logistik-Dienstleister miteinander kommunizieren. Möglich wird dies über EDI (Electronic Data Interchange). Zunächst ging es darum, das ERP so anzubinden, dass das externe 3PL-Lager bei Cherry als internes Lager geführt wird. Wenn Bestellungen über Amazon eingehen, muss der Hersteller sofort wissen, ob und wo ein Produkt vorrätig ist. Außerdem muss er in der Lage sein, Waren bedarfsgerecht zwischen den lokal betriebenen Lagerorten und dem 3PL hin und her zu verschieben. Damit es nicht zu Fehlern kommt, brauchen das Cherry-ERP und 3PL-System immer denselben Datenstand. Dafür ist ein automatischer Abgleich erforderlich.
Mittelstand Heute: Was machte die EDI-Anbindung besonders anspruchsvoll?
Klaus Hoffmann: Eine EDI-Anbindung erfordert nicht nur Schnittstellen zu den IT-Systemen der Kommunikationspartner. Das Empfänger-System muss auch in der Lage sein, die eingehenden Informationen den richtigen Datenfeldern zuzuordnen. Während Kundenaufträge meist hochstandardisiert sind, ist die Kommunikation bei der Auslieferung komplexer, gerade wenn unterschiedliche IT-Systeme miteinander sprechen. Wie gehen diese zum Beispiel mit Seriennummern um? Oder wie kann das Cherry-ERP dem 3PL-System verständlich machen, dass eine bereits eingesteuerte Auslieferung wieder storniert werden muss?
Mittelstand Heute: Welche Lösung für die EDI-Anbindung hat Cherry gefunden?
Klaus Hoffmann: Cherry hat unsere Spezialisten bei All for One um Rat gefragt, da wir das Unternehmen ohnehin seit Längerem in SAP-Fragen betreuen. Der große Vorteil für Cherry: Wir kennen die Logistik-IT, die Branchenprozesse und können SAP-Projekte vollumfänglich aus einer Hand abdecken. So sind wir vorgegangen: Um Informationen richtig zwischen den Systemen zu übersetzen, haben unsere EDI-Spezialisten ein individuelles Mapping entwickelt. Die Kommunikation stellten sie über eine angepasste SAP-Standard-Schnittstelle und eine SAP Middleware her. Dabei arbeiteten sie eng mit dem IT-Dienstleister von Cherry zusammen.
Parallel erfolgte die EDI-Anbindung an Amazon, um Bestellungen automatisiert einzusteuern. Dafür musste Cherry zunächst interne Prozesse so anpassen, dass sie kompatibel mit den Anforderungen von Amazon sind. Zum Beispiel ist vertraglich genau festgelegt, welche Lieferfristen verbindlich gelten – etwa zwei Tage innerhalb von Deutschland oder drei Tage nach Frankreich. Eine Besonderheit war außerdem, dass manche Bestellungen mit dem Paketdienst und nicht mit der Spedition verschickt werden. Solche Informationen musste Cherry im ERP-System konfigurieren, im EDI mappen und auch an den Dienstleister weitergeben. Dazu kam die Sicherheitsebene: Wo dürfen die Systeme überhaupt aufeinander zugreifen und welche Daten dürfen sie übergeben? Mit unserer Unterstützung konnte Cherry diese Herausforderungen jedoch schnell lösen. Nach drei Monaten war das EDI-Projekt abgeschlossen.
Mittelstand Heute: Wie läuft der Amazon-Bestellprozess jetzt ab?
Klaus Hoffmann: Wenn ein Kunde nun auf Amazon.de eine Cherry-Tastatur kauft, schickt Amazon die Bestellung per EDI an Cherry. Dort wird sie im ERP-System eingelesen, überprüft und bestätigt. Dafür greift das SAP auf Daten aus dem 3PL-Lager zu. Anschließend übergibt es die Bestellung an das System des Logistikdienstleisters. Dieser liefert den Kundenauftrag entsprechend den Anforderungen aus und meldet dann zurück, dass er den Vorgang abgeschlossen hat. Cherry kann nun die Rechnung erstellen, die wieder per EDI an Amazon geht. Der komplette Prozess läuft automatisiert im Hintergrund ab. Die Anwender bekommen davon nichts mit und müssen sich um nichts kümmern.
Mit dem 3PL-Lager für Amazon hat Cherry erfolgreich einen neuen Vertriebsweg integriert. Das ERP erkennt automatisch, über welchen Kanal eine Bestellung eingeht, und steuert dann das zuständige Lager aus. Dank EDI und 3PL-Anbindung kann Cherry die individuellen Anforderungen verschiedener Partner in Höchstgeschwindigkeit umsetzen.